
Ein amerikanischer Soldat auf einem erbeuteten deutschen Eisenbahngeschütz vom Typ „Big Bertha“ (270 mm) (Schneider-Geschütz, Modell 1918) in La Coucourde, 124 km von Lyon entfernt.
In den letzten Kriegsjahren des Zweiten Weltkriegs boten sich den alliierten Soldaten vielerorts beeindruckende, mitunter bizarre Bilder: mächtige deutsche Kriegsmaschinen, einst Sinnbild technischer Überlegenheit und militärischer Macht, nun zurückgelassen, zerstört oder – wie in diesem Fall – erbeutet. So auch in der französischen Gemeinde La Coucourde, rund 124 Kilometer nördlich von Lyon, wo ein amerikanischer Soldat auf einem gigantischen deutschen Eisenbahngeschütz des Typs „Big Bertha“ posiert.
Das hier abgebildete Geschütz, vermutlich ein Schneider-Modell von 1918 mit einem Kaliber von 270 mm, war ursprünglich ein Produkt der französischen Waffenindustrie, das während des Ersten Weltkriegs entwickelt und später von der Wehrmacht erbeutet oder übernommen worden war. Trotz der Namensverwirrung mit der ursprünglichen „Dicken Berta“ – einem berühmten deutschen Belagerungsgeschütz des Ersten Weltkriegs – handelte es sich hierbei um ein Modell französischen Ursprungs, das von Deutschland nach dem Sieg über Frankreich 1940 in seinen Dienst gestellt wurde.
Diese Eisenbahngeschütze wurden auf Schienen montiert, um sie trotz ihrer gewaltigen Größe und ihres enormen Gewichts mobil einsetzen zu können. Sie dienten insbesondere zur Bekämpfung befestigter Stellungen oder als strategisches Fernfeuer. Ihre Wirkung war enorm – psychologisch wie physisch – doch mit dem Fortschreiten des Krieges und dem Vormarsch der Alliierten wurden solche Waffen zunehmend ineffektiv: zu unbeweglich, zu leicht zu orten aus der Luft, zu anfällig gegenüber schnellen Vorstößen.
Das Foto des amerikanischen Soldaten auf dem aufgegebenen Geschütz steht sinnbildlich für den Zusammenbruch der deutschen Kriegsmaschinerie. Wo einst eine ganze Industrie auf Hochleistung lief, um den „totalen Krieg“ zu führen, lagen nun Stahlkolosse rostend in der Landschaft – Mahnmale der Hybris eines Regimes, das sich in seiner technischen Überlegenheit sicher glaubte.
Für die amerikanischen Truppen, die im Sommer und Herbst 1944 durch Frankreich vorrückten, waren solche Funde nicht nur militärische Trophäen, sondern auch ein greifbares Zeichen für den bevorstehenden Sieg. Oft wurden solche Momente auf Film festgehalten – nicht nur zur Dokumentation, sondern auch als Teil des psychologischen Kriegs: der Beweis, dass selbst die größten Waffen nichts gegen den unaufhaltsamen Vormarsch der Alliierten ausrichten konnten.
La Coucourde und das Geschütz mögen heute vergessen sein – doch in dieser Szene, eingefangen inmitten einer zerstörten Landschaft, spiegelt sich ein ganzes Kapitel europäischer Kriegsgeschichte: die Macht und der Fall, die Technik und ihre Grenzen, der Mensch und sein Streben nach Kontrolle – und die unausweichliche Realität, dass jede Waffe irgendwann zum Relikt wird.